Vortrag von Christoph Hatlapa, Steyerberg
Gehalten auf der Fachtagung des Deutschen Familienverbandes am 18. November 1999 in Magdeburg
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich, heute vor Ihnen über das obige Thema sprechen zu dürfen. Bevor ich mit meinen Ausführungen beginne, bitte ich Sie, sich mit einer kleinen Vorübung auf das Thema einzustimmen.
indem Sie sich mit ihrem Nachbarn zusammentun und sich gegenseitig zwei Fragen beantworten:
Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit um sich darüber auszutauschen!
Ich habe für Sie 7 Thesen formuliert. Jede These stellt eine Behauptung auf, zu dem, was aus meiner Sicht an der Mediation Spaß macht. Die Thesen beziehen sich sowohl auf den theoretischen
Hintergrund als auch auf das praktische Vorgehen und die Auswirkungen einer bestimmten Form der Mediation, nämlich der klienten- oder personenzentrierten Mediation. Diese Form der Mediation ist
durch ein streng bedürfnisorientiertes Vorgehen gekennzeichnet.
Dazu 7 Thesen:
Mediation macht Spaß, weil wir ernsthaft die Frage stellen könne, "Wie geht es Dir?" und "Was könnte dazu beitragen, Dein Leben schöner zu machen?
Nun zu den einzelnen Thesen:
Konflikte bedeuten für gewöhnlich Leiden. Es gibt ein Problem, das nach einer sachlichen Lösung verlangt und starke Gefühle hinter denen unerfüllte Bedürfnisse stehen und keinen Ausdrucksraum dafür. Spaß macht es diesen beiden Aspekten jeden Konfliktes einen geschützten Rahmen zu bieten, so daß wir von den Anlässen zur Quelle vordringen können.
Für unsere Praxis ist besonders wichtig, daß sich ein Konflikt zusammensetzt aus einem Problemanteil und einem Gefühlsmoment. Anders ausgedrückt: er enthält eine Sachebene und eine Beziehungsebene. Trotz aller Unzulänglichkeiten von Pauschalierungen stellen wir fest, daß sich Männer mehr auf den Sachaspekt konzentrieren, Frauen sich stärker für den Beziehungsaspekt von Konflikten interessieren. Die unterschiedlichen Sichtweisen von Männern und Frauen verschärfen den Konflikt, wenn für die Sichtweise des anderen Geschlechts kein Verständnis aufgebracht wird.
Die im Konflikt präsenten Gefühle sind zugleich Ausdruck von unerfüllten Bedürfnissen. Das Wort Emotion weist daraufhin, daß Gefühle uns unterstützen, unsere Lage zu verändern, uns aus ihr herauszubewegen. Fühle ich Hunger, bewege ich mich, um an Eßbares heranzukommen. Es ist sehr wichtig den ursächlichen Zusammenhang von Gefühlen und Bedürfnissen zu verstehen. Denn unsere Sehgewohnheiten verführen uns dazu, unsere negativen Gefühle am Verhalten anderer, unserer "Gegner" im Konflikt, festzumachen. Das Verhalten anderer ist jedoch lediglich der Auslöser. Ursache unserer Gefühle sind unsere Bedürfnisse.
Als Mediator unterstütze ich die Parteien vom Anlaß zur Quelle vorzudringen. Das bezieht sich nicht nur auf den Übergang vom Verhalten des anderen zum eigenen Bedürfnis. Auch äußere Anlässe, an denen die Parteien einen Konflikt festmachen, weisen auf dahinterliegende Quellen hin. So das unabgewaschene Geschirr in einer Wohngemeinschaft, das Nichtbezahlen von Beiträgen zur gemeinsamen Kaffeekasse, unkorrekte Handhabung von Fotokopier- und Telefonlisten etc. Dies alles sind Symptome einer Störung, die darauf hinweisen, daß die an der Störung Beteiligten der offenen Auseinandersetzung um die Quelle nicht vertrauen. Sie brauchen einen geschützten Rahmen, um sich ausdrücken zu können. In der Mediation bieten wir den Streitenden diesen Schutzraum durch Gesprächsregeln, durch vielerlei Formen der Ermutigung und vor allem durch unsere Allparteilichkeit im Prozeß.
Mich erfüllt es immer wieder mit tiefer Freude zu sehen, wie kreativ Streitende dann den ihnen gebotenen Schutzraum nutzen.
Wenn Konflikte keinen schützenden Rahmen finden, werden sie für gewöhnlich in einem Kontext gegenseitiger Abwertung ausgetragen oder vermieden. Dadurch kommt es zu Ergebnissen, bei denen beide oder zumindest eine Partei verlieren. Spaß macht es, als Drittpartei in dieser Situation entgegen dieser Gewohnheit , also paradox, zu intervenieren. Dadurch werden Gegner zu Partnern, Konflikte zu Wachstumsmotoren und in Resignation eingeschlossene Lebenskraft für kreative Lösungen freigesetzt. Alle Beteiligten werden bestärkt durch Anerkennung und Aufwertung.
Wenn es zum Konflikt kommt, haben wir für gewöhnlich Angst zu verlieren. Dem versuchen wir durch Abwertung unseres "Gegners" zuvorzukommen. Wenn wir befürchten, daß ein Konflikt auf eine Gewinner/Verlierer- oder Täter/Opfer-Konstellation hinauslaufen wird, können wir den Konflikt nicht wertschätzen. Wir versuchen ihn stattdessen zu vermeiden oder zu umgehen. Auf diese Weise geraten Konflikte häufig in das bekannte Täter-Opfer-Retter Dreieck. Sind Täter und Opfer im Konflikt entstanden, so bricht zwischen ihnen die Kommunikation ab. Die Mauer äußert sich in Feindbildern und Kontaktunfähigkeit. Es bedarf dann eines Retters, zum Beispiel eines gemeinsamen Freundes, eines Rechtsanwalts, eines Therapeuten, eines Polizeibeamten etc., der sich der Situation, oft zunächst auf Opferseite annimmt, dem Opfer Zuspruch gewährt, es aufmuntert, um es darin zu unterstützen, vom Täter eine Wiedergutmachung zu verlangen. Ist die Ausgangslage wiederhergestellt, kann ein neuer Konflikt beginnen, eventuell mit vertauschten Rollen. Diese Form der Streitaustragung kann sich endlos fortsetzen, ohne das Wachstumspotential der Auseinandersetzung je zu erschließen. Gekennzeichnet ist die Situation durch allseitige Abwertung. Der Konflikt wird als unerfreulich und wenn irgend vermeidbares Übel angesehen. Der Täter wertet das Opfer ab, in dem er für sich das Recht des Stärkeren, des Besseren usw. in Anspruch nimmt, während das Opfer den Täter zu erniedrigen trachtet, indem es ihm zuruft: "physisch, politisch, finanziell bist du mir zwar überlegen, aber moralisch bist du ein Versager!" Der Retter, der sich für neutral und unbeteiligt hält, wertet die Streitenden ab, indem er seinen Kollegen das Haarsträubende des "Falles" berichtet. Gelegentlich werden auch die Retter abgewertet, beispielsweise wenn sich Polizisten, nachdem sie zwei Kampfhähne mühsam getrennt haben, nachrufen lassen müssen, daß sie sich in den Streit besser gar nicht eingemischt hätten. In der gerichtlichen Auseinandersetzung werden die Mauern zwischen Täter und Opfer durch Delegation der Konfliktbearbeitung noch bis zum endgültigen Beziehungsabbruch vertieft.
Haben die Parteien das Glück an Mediator und Mediatorin zu geraten, dann kann ihr Konflikt einen sehr viel glücklicheren Verlauf nehmen. Denn sie werden danach trachten, die Streitenden in eine Gewinn/Gewinn-Situation zu geleiten. Entgegen der üblichen Erwartung wird nun jede Partei zum Partner eines gemeinsamen Problems aufgewertet und in der gegenseitigen Wertschätzung gefördert. Allparteilich folgen die Mediatoren jeder Partei in ihre Sachverhaltssicht, Gefühle, Bedürfnisse und Handlungswünsche bzw. Bitten aneinander. Indem sie die Parteien darin unterstützen, voneinander Sichtweisen, Gefühle und Bedürfnisse zu verstehen, bereiten sie den Boden für die Suche nach denjenigen Lösungen, die beide Seiten zufriedenstellen und helfen ihnen, unter diesen Lösungen die beste auszuwählen.
Zwei Mediatoren sind dabei nicht nur doppelt, sondern viermal so effektiv, wie ein Einzelmediator. Vor allem weil sie gemeinsam ihre Allparteilichkeit nachvollziehbarer gestalten können und weil sie jederzeit vor den Parteien auf die Reflexionsebene gehen können, wenn die Parteien sich im gewohnten Keulenschwingen zu verlieren drohen. Die Mediatoren wenden sich vor den Parteien einander zu und machen ihren eigenen Prozeß vor den Parteien angesichts der soeben angesteuerten neuen Sackgasse transparent. Dies veranlaßt gleichzeitig die Parteien, den Prozeßstand zu reflektieren und hilft zur Rückkehr ins konstruktive Fahrwasser.
Wie aber gelangen Mediatorinnen und Parteien nun konkret in den Gewinn/Gewinn-Bereich? Dazu gleich unter These 3.
Das Lösungsspektrum scheint arm. Es macht Spaß, den Parteien ihre Wahlmöglichkeiten vor Augen zu führen und die Parteien darin zu unterstützen, Gewinner-Gewinner Lösungen zu finden.
Mit Hilfe des vorstehenden Diagramms lassen sich wichtige Wahlmöglichkeiten im Konflikt verdeutlichen. Es zeigt ein Konfliktfeld zwischen zwei Parteien A und B, deren Interessen von dem gemeinsamen Ausgangspunkt 0 aus gesehen in zwei völlig verschiedenen Richtungen gesucht werden. Betrachtet man das Konfliktfeld aus der Sicht des A, so lassen sich die Koordinaten gemäß den für A im Konflikt wählbaren Hauptrichtungen benennen. Tritt er für sein eigenes Interesse ein, bewegt sich A auf der Selbstbehauptungsachse. Folgt er der Partei B in Richtung auf deren Interesse, dann übt er Einfühlung. Nimmt er im Konflikt Optionen in Kauf, die schlechter als der Ausgangspunkt 0 sind, bewegt er sich in Richtung Selbstzerstörung. Widersetzt er sich dem Interesse des B so bewegt er sich in Richtung Ablehnung.
Das Diagramm zeigt, daß es unterschiedliche ansteuerbare Gebiete für die Konfliktlösung gibt. In unserer Gesellschaft geschätzt und gefördert werden Lösungen am Konkurrenzpunkt. A setzt sich mit seiner Selbstbehauptung durch, während sein Konfliktpartner B auf dem Weg zur Erfüllung seines Interesses nicht vorankommt. Die derzeitige Globalisierungspolitik zielt auf solche Lösungen ab. A wird hier zum Täter, sein Partner zum Opfer. Folgt A nur dem Interesse des B ohne sich selbst zu behaupten, kann es zur Konfliktlösung am "burn out"-Punkt kommen. Dann opfert sich A für das Interesse des B auf. In beiden Fällen zahlt A einen hohen Preis.
Um die Extreme dieser Lösungen (die Täter/Opfer-Konstellation) zu vermeiden, sind andere Wege gangbar. Manche Menschen fragen sich, ob sie sich überhaupt mit ihrem Konfliktpartner in Konflikt begeben müssen, und koppeln sich mit ihrem Interesse vom Interesse des Konfliktpartners ab. Sie wählen dann den Indifferenzpunkt. Es ist die klassische Singleoption. Jeder hat seine eigene Wohnung sein eigenes Auto etc. Diese Option hat allerdings auch einen Preis. Sie ist unökologisch, energieverschleißend und fördert den sozialen Autismus.
Eine häufig angestrebte Option ist der Kompromiß- oder Vergleichspunkt. Hier wird zwischen den Konfliktparteien Einigkeit durch wechselweises Nachgeben erreicht. Es ist die klassische Retteroption. Den Rettern geht es gut damit, aber die Geretteten ballen die Faust in der Tasche und behalten ein Grummeln im Bauch, was schnell zu neuen Konflikten führen kann.
Wählen die Konfliktparteien Selbstzerstörung bzw. Verhärtung, können sie schnell gemeinsam im Abgrund landen, wie der Balkankonflikt zeigt. Die Option "gemeinsam im Abgrund" ist der natürliche Endpunkt der Eskalation. Die Parteien kämpfen solange gegeneinander, bis sie keine Kraft mehr haben. Von dieser Option aus gesehen, sind alle vorerwähnten Wahlmöglichkeiten vorzuziehen.
Wo aber liegen die Gewinn/Gewinn-Situationen? Sie liegen im Kooperationsfeld der Kollaborationspunkte. Um sie zu erreichen müssen A und B sich gegenseitig bei der Erreichung ihrer Interessen unterstützen. Dies setzt voraus, daß sie eine solche Integration für möglich halten und daß sie so gut miteinander kommunizieren, daß sie voneinander Sichtweisen, Gefühle, Bedürfnisse und Handlungswünsche kennen. Mediation macht deshalb Spaß, weil wir als Mediatoren wesentlich dazu beitragen können, daß die Streitparteien eine Lösung am Kollaborationspunkt finden. Der Mediator unterstützt sowohl das gegenseitige Sichverstehen als auch die Vision, daß eine kooperative Lösung möglich ist. Im Konflikt stehen die Parteien oft vor einer Erkenntnisschranke. Sie sehen nur Mangel, nicht die Fülle der Lösungsmöglichkeiten und spielen im Geiste Nullsummenspiele. Über diese Schranke helfen die Mediatoren den Streitenden hinweg, und das macht Freude. Sie folgen dabei den Bedürfnissen der Parteien, die hinter ihren Gefühlen erkennbar sind.
Die Versuchung ist groß im Konflikt nur noch defensiv zu kommunizieren oder die Kommunikation ganz abzubrechen. Es macht Spaß die Parteien darin zu unterstützen, sich selbst zu behaupten und zugleich ihrem Konfliktpartner Einfühlung zu geben und als Mediator eine Sprache der Verständigung zu sprechen und zu beobachten wie diese Sprache auf die Konfliktpartner abfärbt.
Über das was effektive Kommunikation im Sinne der Erreichung unserer Ziele und Interessen ist, gehen die Meinungen offenbar auseinander. In der Alltagswelt setzen wir im Konflikt auf defensive Kommunikation. Unsere Vorstellung ist, daß sich die Lösung eines Problems in den Händen unseres Konfiktpartners befindet und daß es mit Einsatz aller rhetorischen Fähigkeiten darum geht, den anderen zu bewegen, sich in unserem Sinne zu verändern.
Du-Botschaften sind der klassische Ausdruck davon. Sie werden als Schritt in Richtung Gewalt gedeutet. Niemand läßt sich gern manipulieren. Sobald im Konflikt eine Du-Botschaft ausgesprochen ist, beginnt in dem Zuhörer ein Prozeß des Weghörens. Er wendet seine Aufmerksamkeit der inneren Waffenkammer zu, sortiert seine Argumentationspfeile, um in einer Atempause seinen "Es-geht-nicht-Block" zu aktivieren, den er sprachlich einleitet mit der Wendung "Ja....aber..."Dieses Kommunikationsverhalten führt geradewegs ins Patt. Die Frucht eines Ringens auf dieser Ebene ist bestenfalls ein Kompromiß, wobei die Parteien, des Argumentierens müde, schließlich jede auf ein Stück Selbstbehauptung verzichten.
Anders kann die Kommunikation bei der Anwendung der "Großen Vier" verlaufen.
"Die Großen Vier" der offenen Kommunikation sind Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis und Bitte.
Die mitfühlende Kommunikation, wie sie von Marshall Rosenberg entwickelt wurde, arbeitet mit den Großen Vier, weil sie sich als ein besonders effektives Instrument erwiesen haben, um dazu beizutragen, daß die Gesprächspartner das bekommen, was sie brauchen und zu bekommen wünschen.
Dabei werden folgende Regeln beachtet:
Sich klar ausdrücken:
Einfühlsam empfangen:
Beobachtung / Sachverhalt Gefühle Bedürfnis Bitte |
Manche Konfliktparteien wollen einfach nur ihr Recht bekommen. Sie wollen Recht behalten. Es macht Spaß, die Parteien zu unterstützen, herauszufinden, was sie brauchen, damit ihr Leben schöner wird.
Die Klientenzentrierte Mediation wurzelt in der Philosophie und Praxis der Humanistischen Psychologie. Sie ist zum einen geprägt von der klientenzentrierten Gesprächstherapie, die Carl Rogers entwickelt hat, zum anderen von deren Weiterentwicklung zum Ansatz der "gewaltfreie Kommunikation", die auf Marshall Rosenberg zurückgeht. Die Klientenzentrierte Mediation folgt im Konflikt vor allem den Gefühlen und Bedürfnissen der Streitenden. Sie kann dadurch kreative Wege der Konfliktlösung beschreiten, die bei einer anspruchs- oder rechtsgebietsorientierten Vorgehensweise nicht erreicht werden. Der faszinierende Ansatz ist universell anwendbar, jedenfalls dann, wenn es gelingt, mit Gefühlen und Bedürfnissen der im Konflikt beteiligten Personen kompetent umzugehen.
Die Klientenzentrierte Mediation stellt den Gegenpol zur anwaltlichen Bearbeitung eines Konflikts dar. Während ein Rechtsanwalt im Konflikt einem Vorgehen folgt, das sich am Vorhandensein rechtlicher Anspruchsgrundlagen orientiert, folgt die Klientenzentrierte Mediation den Bedürfnissen der Parteien und zielt damit darauf ab, wie die Parteien eines Streits wechselseitig dazu beitragen können, ihr "Leben schöner zu machen". Zwischen diesen Extremen stehen Formen der Mediation, die zufriedenstellende Lösungen für die Parteien "im Schatten des Rechts" suchen. Die Lösung wird im Abgleich individueller Handlungsspielräume mit dem Repertoire rechtlicher Regelfälle gesucht und gefunden. Die Nähe zu bestimmten Rechtsgebieten, den dort geregelten Ansprüchen und vorgeschriebenen Verfahren prägen dann das Vorgehen z. B. in der "Familien-" und "Umweltmediation". Die klientenzentrierte Mediation ist vom Ansatz her von der Anlehnung an und dem Abgleich mit Rechtsansprüchen unabhängig und gerade deshalb geeignet bei Streitigkeiten aus allen Lebensbereichen zu unterstützen.
Das liegt daran, daß sie die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt des Vorgehens rückt. Die menschlichen Bedürfnisse sind universell; folglich kann ein Mensch die Bedürfnisse eines anderen unmittelbar verstehen und dieses Verständnis stimuliert natürlich Kooperation. Im Streit liegen bei allen Beteiligten vor allem wichtige Bedürfnisse im Mangel. Dieser Mangel äußert sich in starken Gefühlen. Die wichtigste Kompetenz der MediatorIn, des Mediators in der klientenzentrierten Mediation ist die Fähigkeit auf die starken Gefühle und die dahinterliegenden Bedürfnisse einzugehen.
Die Erfüllung dieser menschlichen Bedürfnisse braucht jeder Mensch, um zu leben und sich gesund zu entwickeln - nach Werner Obrecht, Laurence Reichler, John Gray und Marshall Rosenberg:
Autonomie
Wahlfreiheit in bezug auf eigene Träume, Ziele und Werte und die eigenen Pläne zu deren Erfülung
Feiern / Trauern
Das Leben und die erfüllten Träume feiern
Trauern über den Verlust von geliebten Menschen, von Träumen, Vorstellungen, etc.
Körperliche Bedürfnisse
Luft / Wasser / Nahrung /Licht / Wärme
Obdach / Sicherheit / Schutz vor Krankheitserregern, Tieren
Schlaf / Ruhe
Sensorische Anregung / Berührung / Bewegung
Sexualität
Emotionale Bedürfnisse
Selbständigkeit / Selbstbehauptung
Selbstvertrauen
Kreativität
Begeisterung / Bewunderung
Integrität (Übereinstimmung zwischen Handeln und eigenen Werten)
Ehrlichkeit / Echtheit
Soziale Bedürfnisse
Sicherheit / Fürsorge
Zugehörigkeit / Solidarität / Beteiligung / Zustimmung
Anerkennung / Wertschätzung
Unterstützung / Ermutigung
Einfühlung
Vertrauen / Hingabe
Bildung
Intimität: Nähe, Zärtlichkeit, Geborgenheit
Sexualität
Geistige Bedürfnisse
Verständnis / Sinnhaftigkeit / Ordnung
Harmonie / Friede / Schönheit
Ordnung / Ritual
Feiern
Transzendenz / Spiritualität
Während die rechtsgebietsorientierte Mediation die Kompetenz im Umgang mit dem Recht betont, steht beim personenzentrierten Ansatz die Fähigkeit mit der subjektiven Sichtweise der Parteien, ihren Gefühlen, Bedürfnissen, und Wünschen umzugehen im Vordergrund. Klientenzentrierte Mediation zielt auf den "von Herzen" getragenen Konsens ab, nicht auf Lösungsmöglichkeiten angesichts einer bestimmten Rechtslage. Sie ist nicht im rechtlichen, sondern im psychologischen Sinne prozeßorientiert.
Bedingungsloser Respekt für die KlientInnen im Sinne von Carl Rogers bestimmen das Vorgehen.
Mir macht das Arbeiten mit dem Ansatz der klientenzentrierten Mediation auch deshalb Freude, weil dieser Ansatz dazu beiträgt, daß wir als Mediatoren praktisch kein Problem mit dem Rechtsberatungsgesetz haben. Vor wenigen Jahren forderte ein Schreiben der Rechtsanwaltskammer Celle die Kammermitglieder auf, ihr jeden sogenannten "Mediator" namhaft zu machen, damit nach dem Rechtsberatungsgesetz gegen ihn vorgegangen werden könne.
Als Ansatzpunkt für eine derartige Verfolgung wurde und wird dabei § 1 des BerG herangezogen in dem es heißt:
"(1) Die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten, einschließlich der Rechtsberatung ... darf geschäftsmäßig - ohne Unterschied zwischen haupt- und nebenberuflicher oder entgeltlicher und unentgeltlicher Tätigkeit - nur von Personen betrieben werden, denen dazu von der zuständigen Behörde die Erlaubnis erteilt ist."
Da Ausnahmetatbestände für Mediatoren nicht genannt sind, könnte man der Meinung sein, Rechtsauskünfte von Mediatoren verstoßen gegen dieses Gesetz. Ich meine das nicht, weil es in § 2 einen Erlaubnbisverzicht für Schiedsrichter gibt, und Mediationstätigkeit gegenüber der schiedsrichterlichen Tätigkeit ein Minus (an Entscheidungskompetenz) darstellt und § 2 BerG für Mediatoren also erst recht gelten müßte. Dort heißt es:
"Die Erstattung wissenschaftlich begründeter Gutachten und die Übernahme der Tätigkeit als Schiedsrichter bedürfen der Erlaubnis gemäß § 1 nicht."
Diesen Streit können wir uns bei dem Klientenzentrierten Vorgehen sparen. Da wir konsequent bedürfnisorientiert arbeiten, können wir auf das abgleichende Hinschielen zu Anspruchsgrundlagen und Rechtsfolgen weitgehend verzichten. Anwälte sind kein lege artis zu beteiligende Instanz, sondern Spezialisten, die nur dann herangezogen werden, wenn es auf ihre Kenntnisse ankommt. Auch der Mediationsprozeß gestaltet sich durch die Bedürfnisorientiertheit angenehmer.Die Parteien werden von Anfang an als Sachwalter ihrer eigenen Interessen ernstgenommen. Das macht mir Spaß.
Für die derzeitige Diskussion, ob Mediation im Grunde genommen doch nur Anwaltssache sei, ist es wichtig, daß wir uns für die Klientenzentrierte Mediation, d. h. für die Mediation durch Nichtjuristen stark machen. Sonst könnte gerade der interessante sozial transformative Aspekt der Mediation verloren gehen. Katharina Sander und ich haben in dem Vortrag "Die Stärken und Chancen der Klientenzentrierten Mediation" abgedruckt im Infoblatt Nr. 8 Herbst 1999 des Bundesverbands Mediation e.V. an einem Beispiel ausführlich die Stärken dieser Mediationsform gegenüber anspruchs- bzw. rechtsgebietsorientierten Vorgehensweisen verdeutlicht.
Viele Konflikte eskalieren, weil die Konfliktparteien den inneren Kontakt zu sich selbst und zu ihrem Gegner verlieren. Stattdessen entwickeln sie Feindbilder, verurteilen und beschuldigen ihren Widersacher und erzählen sich selbst Geschichten, die erklären sollen, warum sie in die Sackgasse gekommen sind, in der sie sich sehen. In der Mediation können wir Ärger und Wut nutzen, um wieder mit unserer Lebendigkeit in Kontakt zu kommen.
Fast jeder Konflikt beginnt dort, wo sich Menschen ärgern und dadurch mehr und mehr in Wut geraten. Ich freue mich, daß Mediation ein besonderes Know How zur Verfügung stellt, um sich "konstruktiv" zu ärgern, das heißt, Ärger als ein Signal zu begreifen, daß die betroffene Person, den Kontakt zu ihren Bedürfnissen verloren hat.
Drei Aspekte sind wichtig:
Konstruktive Kommunikation umfasst sowohl unsere Sprache als auch unsere Gedanken und unseren Austausch miteinander. Konstruktive Kommunikation legt ihre Aufmerksamkeit darauf, ob die Bedürfnisse der Menschen erfüllt sind und wenn sie unerfüllt sind, was getan werden kann, um diese Bedürfnisse zu erfüllen. Sie zeigt uns einerseits, wie wir uns ausdrücken können, damit andere willentlich dazu beitragen, unser Wohlbefinden zu verbessern. Und andererseits wie wir die Botschaften anderer Menschen aufnehmen können, um dazu beitragen zu können, ihr Wohlbefinden zu steigern.
In Bezug auf Ärger zeigt uns Konstruktive Kommunikation, wie wir Ärger als ein Alarmsignal verwenden können, um zu erkennen, daß unser Denken uns daran hindert, unsere Bedürfnisse zu erfüllen und was wir tun können, um sie zu erfüllen.
Wir lernen, Ärger nicht als etwas böses oder schlechtes anzusehen, das unterdrückt werden muß. Diese Einstellung führt nur dazu, daß wir mit Ärger nichts zu tun haben wollen. Unterdrückter Ärger führt jedoch zu destruktivem Verhalten oder krankmachenden Körperreaktionen.
Wir sind daran interesssiert, Ärger als Hilfe zu betrachten, die uns darauf aufmerksam macht, daß unsere Bedürfnisse nicht erfüllt sind, und wir wollen herausbekommen, was sich bei Ärger in unserem Inneren abspielt.
Beispiel (aus Nonviolent Communication von Marshall Rosenberg, 1999) Ein Gefangener streitet mit der Gefängnisleitung:
"Ich ärgere mich über die Gefängnisleitung, die meinen Antrag auf Teilnahme an dem Seminar immernoch nicht beantwortet hat."
Wir unterscheiden vier Schritte beim Umgang mit Ärger:
Im Beispielsfall ist der:
Die Gefühle Ärger und Wut verändern sich, wenn ich mit meinen Bedürfnissen verbunden bin. Das kann ich im Körper genau spüren und meine GesprächspartnerInnen spüren es auch. Im Beispielsfall transformierten sich diese Gefühle in Trauer und Frustration.
Manchmal erscheint der Lebenskontext selbst Verständigung unmöglich zu machen, z.B. weil ein positives Menschenbild fehlt, die Machtverhältnisse das Ansprechen von Gefühlen und Bedürfnissen unmöglich erscheinen lassen, die Erziehung von Gewalt geprägt ist oder die Selbstwahrnehmung negativ ist. Es macht Spaß, die sozial transformativen Aspekte der Mediation zu erleben, ein weitherziges Menschbild zu vertreten, zum Ausgleich von Machtgefällen beizutragen, Ansätze für eine gewaltfreie Pädagogik zu fördern und dem inneren Kritiker Einfühlung zu geben.
Wir alle spielen gewohnheitsmäßig das Spiel "Rechthabenwollen" Dieses Spiel ergibt sich aus den vorherschenden Kommunikationsbedingungen unseres Alltags: Dadurch geraten wir in die Wolfswelt.
In der Wolfswelt herrscht die Überzeugung, daß es Gut und Böse gibt und daß Strafe etwas sinnvolles ist.
Das Konzept der Strafe beinhaltet, daß Menschen es verdienen zu leiden, weil sie etwas getan haben, was sie nicht hätten tun sollen. Bestrafung kann jedoch nie dazu führen, daß Bedürfnisse erfüllt werden. Manchmal können wir erreichen, daß Menschen ein bestimmtes Verhalten aufgeben oder ändern, wenn wir von ihnen ein uns genehmes Verhalten fordern oder erzwingen.
Wenn wir uns jedoch dann die Frage stellen, aus welcher Motivation heraus der andere etwas für uns tun oder ändern soll, wird die Fragfwürdigkeit von Strafe deutlich. Soll der andere aus Schuldgefühlen, Verpflichtung, um Liebe zu erkaufen, aus Angst vor uns oder aus Scham handeln? Sicher nicht, sondern wir wünschen uns, dass Menschen etwas tun, weil sie klar sehen, dass sie damit das Leben bereichern. Alle anderen Gründe machen es den Menschen in der Zukunft nur schwieriger, liebevoll miteinander umzugehen
Ich bin froh, in der Mediation einen Weg aus der geistigen Wolfswelt gefunden zu haben. Ich sehe in der Mediation das entscheidende Werkzeug, diese geistige Welt, der Urteile, Strafe, Schuldzuweisungen, Anklagen zu verlassen um in das Reich der konstruktiven Kommunikation vorzustoßen und dazu beizutragen, daß wir Menschen ein neues Spiel miteinander spielen: Das Spiel heißt: Was kann ich tun, um dein Leben schöner zu machen und was kannst du tun um mein Leben glücklicher zu machen. Vom Rechthabenwollen zum Glücklichsein.
© Die Schule für Verständigung und Mediation 2000